Europacup der Landesmeister 1988/89 - 1. Runde Rückspiel: SV Werder Bremen - BFC Dynamo 5:0

In der Weser Kopf unter
Nach den neunzig Minuten war das Drama im Weser-Stadion zum Trauma für den BFC geworden. 0:5 - an Deftigkeit fehlte es wahrlich nicht. In der Weser Kopf unter, anders kann die Situation nicht beschrieben werden, weil die Hoffnungen und ja auch wohl berechtigten Erwartungen auf ein Weiterkommen im wichtigsten Europacup förmlich in den Wellen des bremischen Flusses untergingen. Natürlich galt es einzukalkulieren, daß in aufgeheizter Atmosphäre - die "Schmach von Berlin tilgen und unseren Ruf wiederherstellen", so Manager Lemke - Spannungseffekte sich urplötzlich entladen, das "beschworene Wunder von Bremen" in Erinnerung an das Dassajew-Desaster von Spartak Moskau zu Kulminationspunkten führen könnte, bei denen die Widerstandsfähigkeit jedes einzelnen hart geprüft würde. Sicherlich könnte im nachhinein nur beim Betrachten des Ergebnisses der Spruch seine Berechtigung haben, "daß das 3:0 von Berlin erst Halbzeit bedeutete", aber bei ständiger Wiederholung solcher Feststellungen vor dem Anstoß liegt mir zuviel Zaghaftigkeit drin.

Selbstverständlich ist Überheblichkeit auch nach Vorsprüngen fehl am Platze, doch der klare Wille, den Sack zuzubinden, das notwendige Selbstbewußtsein auszudrücken, muß erkennbar sein. Wer es nicht auch schon vor dem Spiel demonstriert, wird aus dem Schatten nicht heraustreten können. Und genau das passierte den Berlinern. Statt die pralle Brust des Vorsprungs zu zeigen, "offenbarten wir eine reservierte, ja ängstliche Haltung", formulierte Kapitän Frank Rohde treffend. Bei den Berlinern war die Hoffnung auf das Verrinnen der Minuten größer als der Mut, auch in der hektischen Kulisse ein eigenes Spiel zu spielen. Physisch und psychisch nicht fit war der Widerstand gleich Null! Dabei kann weder Bodo Rudwaleit als Dauerbeschäftigtem noch der überlasteten Abwehrkette ein Vorwurf gemacht werden, weil auf die Dauer den vielen Torwellen von Werder einfach nicht standgehalten werden konnte, sondern in der mittleren Zone und in der Angriffsreihe bar jeden modernen Spieles und Abwehrverhaltens den Werderanern alles gestattet wurde.

Dem taktischen Rezept des Gastgebers, vor allem über die Vierer-Mittelfeldreihe, auf der linken Seite durch den spielgewitzten Meyer und den überragenden Hermann (unbedrängte) Angriffe inszenieren zu können, wurde von der Bank nichts entgegengesetzt, obwohl spätestens nach zwanzig Minuten eine Umorientierung erfolgen mußte. Aber Zaghaftigkeit und Ratlosigkeit, fast Lethargie hatten sich auch hier schon eingeschlichen. Zwei Schüsse - ein Freistoß von Thom und ein Hackentrick von Doll - und eine Halbwegschance, als Doll den Ball eigentlich bloß über den herausgeeilten Reck ins Tor hätte heben müssen (35.) waren die ganze Ausbeute der (Nicht-)Angriffsversuche. Thoms und Dolls unbegreifliche, nicht zu tolerierende Inaktivität beraubten den BFC der Chance auf ein doch so wichtiges Tor, vor dem sich ganz Bremen vorher fürchtete. Als Doll Bratseth vor dem 1:0 ungehindert in den Strafraum ziehen ließ und Rohde zu allem Überfluß noch ein unnötiges Foul beging, zeigte sich die Kalamität des BFC an diesem Abend deutlich - fehlende Abstimmung, Mutlosigkeit, Ängstlichkeit,

Unsicherheit. Werders bis in die Haarspitzen motivierten Akteure ließen sich solches Entgegenkommen natürlich nicht entgehen. Die Angriffswellen aus allen Reihen - voran Bratseth, Schaaf, Votava, Hermann, Riedle, Meyer - brachten Minute für Minute das Weiterkommen näher. "Als die 1:0-Führung fiel, glaubte ich daran, daß wir es schaffen könnten", meinte Trainer Otto Rehhagel, dessen Seitenlinientänze zwar im nachhinein durch die UEFA (unwesentlich) bestraft wurden, die aber auf seine Spieler wie ein Wunderwasser wirkten. Förmlich sich um jeden Ball zerreißend, wurden von den Werder-Spielern alle - die Ausnahmen sind an zwei Händen abzuzählen - Zweikämpfe gewonnen und damit das Übergewicht geschaffen, aus dem sich die Tore wie Sand in der Wüste machen ließen. Der BFC stand oft einfach nur daneben - und das konnte nur das Aus sein. Ein bitteres Debakel.

SV Werder Bremen:
Reck; Kutzop, Otten, Bratseth, Borowka; Schaaf, Hermann, Votava, Wolter (73. Meyer); Riedle, Burgsmüller
BFC Dynamo:
Rudwaleit; Rohde; Herzog, Reich, Köller; M. Schulz (78. Ksienzyk), Ernst, Küttner; Doll, Pastor (71. Anders), Thom

1:0 Kutzop             (23., Foulstrafstoß)
2:0 Hermann            (55.)
3:0 Riedle             (62.)
4:0 Burgsmüller        (71.)
5:0 Schaaf             (90.)

Schiedsrichter:        Quiniou (Frankreich)
Zuschauer:             23.542


Jürgen Nöldner, Neue Fußballwoche, 18.10.1988