Europacup der Landesmeister 1987/88 - 1. Runde Hinspiel: BFC Dynamo - Girondins Bordeaux 0:2

15 Ecken, "Elfer", aber kein Tor...
Es war ein Europapokal-Spätnachmittag von unerschöpflicher Neugier. Vor, während und danach... Ehe er begann: Wie würde der BFC das Spiel angehen, voll oder konterfürchtend offensiv? Und Girondins? Hatte nicht Trainer Jacquet noch an jenem heißen Abend im Stade Municipal gesagt: "In Berlin auf Unentschieden spielen, das wäre ein Irrtum"? Als er begonnen hatte: Was wäre passiert, hätte Fügner in der 19. Minute, allein vor Dropsy auftauchend, das 1:0 erzielt? Wie weiter, hätte B. Schulz zwei Minuten später seinen Kopfball nach Rohdes Flanke statt an die Latte ins Netz gewuchtet? Welches Resultat wäre an der Anzeigetafel aufgeleuchtet, hätte Doll in der 39. Minute nicht quergepaßt, sondern direkt auf das Tor gezielt, wäre Thoms Freistoß kurz vor der Pause, noch abgefälscht, zwischen die Balken geflogen?

Und vor allem: Was, wenn Rohde in der 57. Minute mit dem von Roche an Ernst verwirkten Strafstoß Erfolg gehabt hätte? Den Dropsy parierte, wie Küttners Nachschuß. Dessen zweiter Versuch sauste am Außennetz vorbei. Natürlich auch Fragezeichen bei französischen Ausbrüchen, die sich blitzschnell aus einer gewissen Weitschweifigkeit defensiver Sicherheitshaltung entwickelten. Bei Zl. Vujovic´ Rückzieher, Bijotats Chance, einer Kombination Bijotat, Girard zu Fargeon (noch zweimal nach der Pause eminent gefährlich), Tiganas Slalom vorbei an Fügner und Ksienzyk, zu Zl. Vujovic passend, Rudwaleit zwingend, sich lang und länger zu machen.

Und nach dem Abpfiff: War Rohde als Strafstoßschütze vorgesehen? "Er war einer von fünf", erklärte Jürgen Bogs. "Er nahm sich den Ball als Kapitän, trug die Verantwortung, scheiterte, soll ich ihm deshalb einen Vorwurf machen?" Schließlich: Waren die Konter, die Zl. Vujovic und Ferreri perfekt abschlossen, zu vermeiden oder, als die Berliner immer mehr nach vorn rückten, nicht sogar folgerichtig? Gestillte Neugier? Das Fazit: Mit "Hätte" und "Wäre" kommt man nicht weiter. Fakten, sprich Tore, entscheiden. Eine alte Weisheit. Und da muß sich unser Titelträger, bei dem zunächst sichtlich die Angst vor einem 0:1 mitspielte, selbst an die Brust klopfen.

15 Ecken, sechs Chancen, darunter ein "Elfer", und kein Tor, in Bordeaux nicht, in Berlin nicht, in 180 Minuten - da liegt es mehr als nahe, aus dem attraktiven Wettbewerb zu scheiden. Bei durchaus positiven Aspekten - Thoms Kombinationssinn, Fügners Selbstvertrauen, einer wiederum fehlerfreien Partie von B. Schulz gegen den von den Girondins-Fans gefeierten "Brasilianer" Touré (Auswahltrainer Michel: "Der beste Kopfballspieler Frankreichs."). Es reichte nicht! Mannschaftlich war Girondins besser besetzt, qualitativ ausgeglichener. Mit Rohr und O´Boyle saßen noch zwei Nationalspieler draußen. Wo gibt´s das bei uns?

Wenn beim BFC Ernst blaß bleibt, Backs zuerst auf der Bank sitzt, Leistungen schwanken, wo soll da durchgängige EC-Qualität herkommen? Jacquet fürchtete den Tag in Berlin, gab er unumwunden zu. "Der Elfmeter war jedoch der Wendepunkt. Hätte Rohde ihn verwandelt, wären wir möglicherweise nicht in der zweiten Runde. Meine Mannschaft machte aber ein großes Spiel in puncto Ballbeherrschung und Technik." Girondins, zu Hause einiges an Stimmung gewöhnt - für die auch ein temperamentvoller Stadionsprecher sorgt... - fürchtete das Publikum. Unbegründet. Die Berliner Zuschauer warten erst mal ab. Leidenschaftliche EC-Atmosphäre? Wo? Auch sie sind zu Recht mit ausgeschieden.

BFC Dynamo:
Rudwaleit; Rohde; Ksienzyk, Köller; Fügner, B. Schulz, Ernst (67. Backs), Küttner; Doll, Pastor (67. Kaehlitz), Thom
Girondins Bordeaux:
Dropsy; Pean; Zor, Vujovic, Roche, Thouvenel; Bijotat, Tigana, Touré, Girard; Zl. Vujovic, Fargeon (61. Ferreri)

0:1 Zl. Vujovic        (58.)
0:2 Ferreri            (87.)

Schiedsrichter:        Valentine (Schottland)
Zuschauer:             20.000

Joachim Pfitzner, Neue Fußballwoche, 06.10.1987