Europacup der Landesmeister 1987/88 - 1. Runde Hinspiel: Girondins Bordeaux - BFC Dynamo 2:0

Nach der Pause eklatante Fehler, Leistungsabfall
Wer die "Marineblauen", den Fußballstolz der 600.000-Einwohner-Stadt, der "Weltmetropole des Weins", wie die Prospekte verkünden, in ihrem "heißen" Stade Municipal" aus den Angeln heben will, muß sich etwas einfallen lassen. Oder, um mit den Worten des BFC-Trainers Jürgen Bogs zu sprechen, die er nach seiner ersten Spielbeobachtung Girondins-Marseille kundtat, in Bordeaux zu bestehen, bedeutet: ganze Männer sind gefragt! Dies seinen Spielern vielleicht nicht mit auf den langen Tunnelweg zum Spielfeld gegeben zu haben, brauchte sich Bogs nicht vorzuwerfen. Bedenken hatte er freilich: "Eine so elastische Auffangstellung, wie sie Lok hier im Frühjahr vorführte, können wir vermutlich nicht praktizieren." Man versuchte es dennoch, entschied sich für nur zwei Spitzen, vertraute den Regiequalitäten von Ernst in der spielgestaltenden Zone.

Bis zur Halbzeitpause ging die Dynamo-Rechnung auf, trotz der alten Weisheit, daß, wer rechnet, immer in Gefahr ist, sich zu verrechnen. Ab der Mittellinie sollte jedem Girondins-Angriff mit Preßdeckung - nicht stur am Mann, sondern in den betreffenden Räumen - begegnet werden. Die Gefahrenquelle Touré, nach seiner in Moskau beim Länderspiel erlittenen Blessur wieder einsatzfähig, sollte B. Schulz versiegen lassen. "Alle Eckbälle, alle Freistöße auf Touré, der Mann scheint Sprungfedern in den Beinen zu haben", so formulierte Jürgen Bogs seine Beobachtungen vorher. Auch Ernst sollte bei Standards ein Auge auf den dunkelhäutigem, offensiven Mittelfeldspieler werfen. Beide Außenverteidiger hatten dem ungestümen Fargeon - Köller machte seine Sache gut gegen ihn - und dem exzellenten Jugoslawen Zlatko Vujovic den Kampf anzusagen. Im Prinzip wurden diese Aufgaben gelöst.

Die Kombinationen der Platzbesitzer konnten zumeist nicht zu Ende geführt werden. Was dennoch in Gefahr mündete, entschärfte Rudwaleit mit gekonnten Paraden. Auch Touré kam bei B. Schulz "nicht an", zog sich bald von ihm weit ins Mittelfeld zurück. Nur ein Kopfball, unplaziert, das sagt alles. "Alles gut und schön", meinte nach dem Spiel der Berliner Vorstopper, ein Allroundspieler, wie man weiß, "aber wir hätten ein Tor schießen müssen und uns nicht nach zwei kurz gespielten Ecken hereinlegen lassen dürfen. Zweimal geschlafen, nicht aufgepaßt, das darf einem in solchem Spiel nicht passieren." Damit ist der Finger auf der Wunde. Der BFC kam nicht mit der gleichen Konzentrationsfähigkeit aus der Halbzeitkabine. Das 0:1 begann mit einem Ballverlust im Mittelfeld. Daß sich Bijotat, der das Leder nach scharfem Zuspiel ins Tor abfälschte, in Abseitsstellung befand, sei erwähnt,aber was hilft´s.

Beim 0:2 ließ sich M. Schulz, der gegen den überragenden Ferreriauf verlorenem Posten stand, was von Anbeginn wie ein Alarmsignal wirkte, austricksen. Ernst griff nicht rettend ein, und auch andere zögerten. Ferreris Schlängellauf und Scharfschuß ins kurze Eck waren die Quittung. Ergo: Dynamos Abwehr zeigte sich in entscheidenden Situationen nicht sattelfest. Gegen diese Klasse-Elf hätte sie es sein müssen! Was bedenklicher war: Im Mittelfeld ging Konstruktivität, Zusammenhalt, Bindung zu den dann nur noch hoch angespielten Spitzen Thom und Doll völlig verloren. Nur die beiden Angreifer waren bis dahin torgefährlich geworden. Ernst baute stark ab, die anderen hatten mit sich zu tun. So verwunderte es nicht, daß der recht gute Eindruck der ersten 45 Minuten mehr und mehr schwand. Laxheiten, auch Kräfteabfall - kein Entschuldigungsgrund, bei den ungewöhnlichen Temperaturen betraf es Girondins ebenso, daß aber durch Lockerheit vieles kompensierte -, brachten unseren Titelträger dem 0:3 näher als einem Ehrentor.

Welches in der 45. Minute fällig gewesen wäre, als Doll Zlatko Vujovics Zwillingsbruder Zoran enteilt war und von diesem im Strafraum gelegt wurde, der Pfiff jedoch nicht kam. Da später ähnliches mit dem Bordeaux-Stürmer im BFC-Strafraum passierte, mochte man von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen. Freilich mit dem Hintergedanken, daß ein Strafstoß für den BFC beim Stande von 0:0 die Möglichkeit zur Führung geboten hätte. Und davon - gewarnt durch den 1. FCL - träumte Girondins mit Schrecken. Frank Rohde, der BFC-Kapitän, auch Bodo Rudwaleit, alle wurmt das 0:2. "Es wird sehr schwer, das wieder aufzuholen", so der Kapitän. "Aber wir wären schlechte Sportler, wenn wir es nicht versuchen würden." Noch ist nicht alles verloren." Auf denn, BFC, nicht ist unmöglich...

Girondins Bordeaux:
Dropsy; Pean, Zor. Vujovic, Roche, Thouvenel; Bijotat, Tigana, Ferreri, Touré; Zl. Vujovic, Fargeon
BFC Dynamo:
Rudwaleit; Rohde; Köller, Ksienzyk; Backs, B. Schulz, Küttner, Ernst, M. Schulz (65. Pastor); Thom, Doll

1:0 Bijotat            (47.)
2:0 Ferreri            (58.)

Schiedsrichter:        da Silva Valente (Portugal)
Zuschauer:             30.000

Joachim Pfitzner, Neue Fußballwoche, 22.09.1987