Europacup der Landesmeister 1983/84 - Viertelfinale Hinspiel: AS Rom - BFC Dynamo 3:0

Der Damm des BFC hielt nur eine Stunde
Die Fluten des römischen Tiber sind schon lange gebändigt. Auch sintflutartiger Regen kann den Dämmen und Mauern des Flusses nichts anhaben. Aber im Stadio Olimpico ist schon manche Mannschaft von der Angriffsflut der "Roma" hinweggespült worden. Wie und ob der Damm der Dynamos halten würde? - das war die in allen Zeitungen immer wieder gestellte Frage. Der täglich erscheinende "Corriere dello Sport" drückte die Prognosen über das Weiterkommen in Prozenten aus. Während die einstigen Auswahlspieler Trapattoni mit 60 und de Sisti mit 70 Prozent Roms Chancen bezifferten, legte sich der frühere Nationalmannschaftstrainer Fabbri auf 65 Prozent fest. Liedholm, der schwedische Trainer von AS, prophezeite diplomatisch 50 Prozent, um sicherlich die Schwere der Aufgabe zu demonstrieren.

Nun, nach den neunzig Minuten, dürften sich die Zahlen sicherlich der Hunderter-Grenze genähert haben. Denn der Damm des BFC Dynamo hielt leider nur eine gute Stunde. Die Gäste konnten vor der Pause das Spiel des Gastgebers eindämmen, verleiteten die Falcao, Cerezo, di Bartolomei zum Quergespiele. Größere Gefahr drohte dem Gehäuse der Berliner lediglich bei einem Kopfball von Graziani nach Flanke von Cerezo (29.), den Rudwaleit mit einer Reflexreaktion abwehrte, und einer Schußchance für Libero Righetti (30.), der das Leder jedoch in den azurblauen Himmel setzte. Fast hatte es den Anschein, daß der italienische Champion erst einmal Sicherheit vorzog, sich auf kein großes Tempo einließ, um Kräfte zu sparen für den Schlußspurt.

Den läutete Kapitän di Bartolomei mit einem knallharten Pfostenschuß ein - er gilt ohnehin als der Italiener mit dem härtesten Schuß; mit dem Führungstor von Graziani, der das gegenseitige Stören von Troppa und Grether zum Schuß nutzte, begann die eigentliche Angriffsflut der Römer. Jetzt mit vier Spitzen operierend - Liedholm hatte den Wirbelwind Chierico aufs Feld beordert - bot AS besten Angriffsfußball. "Unsere beste Leistung in den letzten Monaten überhaupt", konnte der wegen mangelnder Titelverteidigungschancen umstrittene Liedholm aufatmen. Wohl entscheidend für die Niederlage unseres Meisters, die in dieser Höhe nicht erwartet werden konnte, allerdings bei allen Abstrichen auch unnötig war (1. und 3. Tor), war sein zu zurückhaltendes Agieren nach vorn.

Das 0:0 im Hinterkopf bremste die eigenen Angriffsbemühungen, hinzu kam die taktische Unbeweglichkeit nach der Einwechslung von Chierico, die natürlich eine neue Konstellation bedeutete. Ein Deckungswechsel von Rohde und Grether, um die nun entstandene Doppelspitze Pruzzo-Graziani zu entschärfen, wäre sicherlich ratsamer gewesen. So aber konnte gerade Graziani all seine Raffinesse und Wucht gegen den "grünen" Grether im Zentrum ausspielen, wie überhaupt die Berliner in der Cleverness unterlegen blieben. Was bestes Fußball-Alter anbelangt, AS bietet dafür eine Musterstudie. Nationalspieler Righetti ist mit 22 Jahren der "Youngster" in der Elf! Die Verwundbarkeit der Gastgeber in der eigenen Abwehr offenbarte sich deutlich, als unser Meister nach dem Rückstand wohl oder übel mehr riskieren mußte, "um wenigstens ein Tor zu schießen", wie Routinier Frank Terletzki hoffte.

Thom mit Solo und Schuß, den Tancredi gerade noch zur Ecke abwehren konnte (66.), Ernsts Schuß am langen Pfosten vorbei (77.), Backs Versuch (89.), die Notbremse von Righetti als letztem Mann gegen den davoneilenden Ernst (78.) demonstrierten, was bei mehr Mut auch im Stadio Olimpico möglich gewesen wäre. Doch dazu hätte es auch mehr spielerischer Ausstrahlung des Mittelfeldes bedurft. Rohde mit dem Ausschalten von Falcao blieb die einzige gute Karte. Vor allem Schulz und Backs fanden nie den richtigen Rhythmus, wodurch das Spiel des BFC stets mit Ungenauigkeiten versehen war. Und daß bei der zu geringen Entlastung und der ständig steigenden Gefährlichkeit der "Roma" der Abwehrdamm der Dynamos doch löchrig würde, diese Befürchtung bestätigte sich.

AS Rom:
Tancredi; Righetti; Oddi (55. Chierico), Nela, Maldera; Falcao, di Bartolomei, Cerezo; Conti, Pruzzo, Graziani
BFC Dynamo:
Rudwaleit; Trieloff; Troppa, Grether, Rath; Terletzki, Rohde, Schulz, Backs; Ernst, Thom (79. Netz)

1:0 Graziani           (.)
2:0 Pruzzo             (.)
3:0 Cerezo             (.)

Schiedsrichter         Keizer (Niederlande)
Zuschauer:             62.000

Jürgen Nöldner, Neue Fußballwoche, 13.03.1984