UEFA-Cup 1978/79 - 1. Runde Rückspiel: Roter Stern Belgrad - BFC Dynamo 4:1

Jubeltänze der Roten Sterne
Die "weiße Stadt", Beograd begrüßte den BFC mit herrlichstem Sommerwetter und verabschiedete ihn im tristen Dauerregen. Haargenau dem entsprach der Stimmungswechsel unseres Oberliga-Spitzenreiters binnen 48 Stunden. Während die Roten Sterne den Spielabend mit Jubeltänzen beendeten, Savic wurde wie ein Triumphator von überglücklichen Fans auf den Schultern ums Stadionrund getragen, schleppten sich die tiefbetroffenen BFC-Spieler mit hängenden Köpfen wort- und fassungslos in die Kabine, von da in Bus, Hotel und ins Bett.

"Schlafen konnte kaum einer so recht", zeigte sich Kapitän Terletzki im Morgengrauen des Rückflugtages noch immer mitgenommen. Wie er, so konnten auch seine jungen Mannschaftskameraden die sich im "Maracana" überstürzenden Ereignisse, die zum 1:4 und zum Aus führten, kaum begreifen. Verständlich. "Unser Spiel lief ja fast eine Stunde lang so, wie wir es uns nicht besser wünschen konnten", urteilte rückblickend Trainer Jürgen Bogs. Unbeeindruckt von den anfeuernden Gesängen der 60.000, die nach Rhythmen vom Band (!) Stimmung machten, suchte die Mannschaft ihr Konzept zu verwirklichen: genaue, energische Deckungsarbeit, Verengung des Spielraums vorm eigenen Tor, Störarbeit schon der Stoßstürmer und dann ballsichere, weiträumige Angriffsaktionen mit schnellere Überbrücken des Mittelfeldes.

"Das klappte prima" und der geheime Wunsch, möglichst ein Tor vorzulegen, “ging frühzeitig in Erfüllung", schilderte Reinhard Lauck, der mit seiner Ruhe, seiner Übersicht am überlegten Spielaufbau des BFC maßgeblich beteiligt war. Roter Stern wurde getroffen mit jener Blitzaktion Jüngling-Riediger, die zum 1:0 führte. Wie sehr der erneute Rückstand an den Nerven der Gastgeber zehrte, verriet die Vielzahl an ungenau-unüberlegten Pässen. Nur, Blagojevic, Petrovic und Sestic, der Ullrich wiederholt vor unlösbare Probleme stellte, behielten in dieser Phase den Kopf oben. Ein Raunen schwappte jeweils über die Ränge, wenn der BFC vorwiegend durch Riediger, Jüngling für gepfefferte Tempo-Einlagen sorgte.

Da hatten Keri und Muslin helle Aufregung in ihrer Abwehr zu bändigen. Dragan Dzajic, Jugoslawiens Rekordmann (84 X A) lobte: "Ich sah lange keinen besseren dynamischeren Mittelstürmer als diesen Riediger." Und Auswahltrainer Toblak erweiterte die Anerkennung bei Halbzeit aufs ganze Team: "Der BFC hat mir mit seiner weiträumigen, schnellen Spielweise imponiert." Kaum jemand gab im Rund zu dem Zeitpunkt noch einen Pfifferling auf Roter Stern. Aber nach und nach schlich sich in der Folgezeit ins BFC-Spiel ein Schuß Unaufmerksamkeit, als die "Sterne" samt Anhang schon zu resignieren schienen.

Und prompt machte die BFC-Abwehr, eben jüngster, unroutiniertester Teil der Mannschaft, die bittere Erfahrung, daß man nicht ungestraft quasi selbst die Lunte ans Pulverfaß südländischer Spielleidenschaft legen darf. Fast eine Stunde souveränen Spiels war verstrichen, da rückte Trieloff nach Terletzki-Kurzpaß riskant (und unnötig) aus dem Deckungszentrum, verlor den Ball, und Petrovic-Savic nutzten den offenen Weg zum Tor. Dieser Ausgleich rüttelte die Gastgeber wach ließ sie zu einem Energie-Ausbruch finden, dem der BFC immer hektischer reagierend zu begegnen suchte.

Der lange Jovanovic, von Terletzki kaum noch eingeschränkt, die eingewechselten Lukic und Borovnica sowie das Stopper-Tandem Muslin-Keri stellten nun die BFC-Abwehr vor heikle Aufgaben, die in ein Tohuwabohu mündeten. "Dieses Inferno sich überstürzender Angriffe war für uns die eigentliche Bewährungsprobe. Und sie bestanden wir nicht", sagte Klubvorsitzender Manfred Kirste ohne Wenn und Aber. Individuell-taktische Patzer (Trieloff), nervliche Anfälligkeit, Schnelligkeitsnachteile (Terletzki, Lauck) entpuppten sich als mitentscheidende Schwächen.

"Ein Spielablauf, den man alle 15 Jahre mal erlebt", fand Ivan Toblok außergewöhnliche Worte für die außergewöhnliche Turbulenz und Dramatik, die im unglücklichen Eigentor Laucks in der 90. Minute zum 1:4 gipfelten. Die Schlagzeilen der Presse ("Ein Traum wurde Wirklichkeit" - Sport, Belgrad, und "Das Wunder im Maracana", Sportske Novosti, Zagreb) deuten an, wie weit Roter Stern schon weg von der 2. Runde war. Aber ein Spiel ist eben erst nach 90 Minuten beendet. Eine Binsenweisheit, die Libero Trieloff (war im Ballbesitz, brauchte ihn nur ins Aus zu schlagen), aber nicht nur ihm, noch manchmal lange unangenehm aufstoßen wird.

Roter Stern Belgrad:
Stojanovic; Muslin; Jelikic (60. Borovnica), Keri, Jovin; Jovanovic, Blagojevic, Baralic (46. Lukic); W. Petrovic, Savic, Sestic
BFC Dynamo:
Schwerdtner; Trieloff; Noack, Brillat, Artur Ullrich; Terletzki, Lauck, Jüngling, Eigendorf; Riediger, Netz (69. Sträßer)

0:1 Riediger           (12.)
1:1 Savic              (58.)
2:1 Borovnica          (69.)
3:1 Lukic              (80.)
4:1 Lauck              (90., Eigentor)

Schiedsrichter:        Tatrei (Ungarn)
Zuschauer:             60.000

Horst Friedemann, Neue Fußballwoche, 27.09.1978