Europacup der Pokalsieger 1971/72 - Halbfinale Rückspiel: Dynamo Moskau - BFC Dynamo 4:1 n. E. (1:1, 1:1 n. V.)

Nach 780 Minuten schlug für BFC Tür zum Finale zu / BFC Dynamo nach dramatischem Spiel der Moskauer Dynamo-Mannschaft im Elfmeterschießen unterlegen / ohne Niederlage ausgeschieden
Nach exakt 780 Minuten - das sind acht Europapokalspiele, zwei davon mit Verlängerung, zieht der Berliner Fußballclub Dynamo aus dem Europapokal der Pokalsieger aus, ohne eine einzige Niederlage erlitten zu haben. Im Rückspiel des Halbfinales mußte sich die Berliner Elf am Donnerstagabend in Lwow im Elfmeterschießen der Moskauer Dynamo-Mannschaft beugen. Nach Ende der regulären Spielzeit und nach einer zweimal 15-minütigen Verlängerung hatte es 1:1 gestanden. Im entscheidenden Augenblick - als die Tür zum Finale in Barcelona weit für die Berliner offen zu stehen schien, versagten die Nerven:

Johannsen und Terletzki schossen die Elfmeter neben das Tor bzw. an die Latte, während Dynamo Moskau nacheinander alle Strafstöße verwandelte. Mit der sympathischen Moskauer Dynamo-Elf, die sich ebenso wie der BFC in und durch die Europapokalspiele geformt und entwickelt hat, steht zum ersten Male eine Vertretung eines sozialistischen Landes im Endspiel eines der beiden großen europäischen Pokalwettbewerbe. Das Spiel im Lwower Stadion der Freundschaft vor 25.000 Zuschauern - unter ihnen 300 Schlachtenbummler aus der DDR - hätte von keinem noch so erfahrenen Regisseur dramatischer in Szene gesetzt werden können.

Von der ersten Minute an war das Bestreben jeder Mannschaft spürbar, mit der arteigenen Konzeption und den vorhandenen spielerischen Potenzen den Erfolg zu erzwingen. Die Moskauer, die in Berlin durch ein enormes Tempospiel beeindruckt hatten, versuchten auch diesmal die Summe der Schnelligkeit ihrer Sturmspitzen auszuspielen, um den Gegner systematisch unter Druck zu setzen. Daß diese Konzeption über Ansätze - allerdings kreuzgefährliche - (Jewrjuschichin und Baidatschny) nicht hinauskam, ist ein Verdienst der Berliner Dynamos.

Hervorragend von Cheftrainer Hans Geitel eingestellt, setzten die Männer um Kapitän Peter Rohde ihr eigenes Spielkonzept, das auf der Ausdauer und der Einengung der Räume fußte, entgegen. Etwa nach einer Viertelstunde hatte sich die Berliner Hintermannschaft vollends auf die schnellen Moskauer Sturmspitzen eingestellt. Sie störten bei der Ballannahme und verhinderten, daß der Angriffsmechanismus der in blau gekleideten Beskow-Schützlinge ähnlich wie in Berlin auf volle Touren kam. Im Mittelfeld legten Rohde, Terletzki und Schütze im Verein mit den lauffreudigen Stürmern ein Netz aus, in dem sich viele Aktionen der Moskauer Mittelfeldreihe verfingen.

Die Berliner nahmen den schnellen Moskauer Stürmern durch eine konsequente Manndeckung viel von ihrer Gefährlichkeit und begingen vor allem im Gegensatz zur ersten Begegnung in Berlin nicht noch einmal den Fehler, den Gegner im Mittelfeld fast ungestört das Spiel aufziehen zu lassen. Aus der sicheren Abwehr mit einem überragend haltenden Lihsa im Tor wurde immer wieder mit weiten Pässen auf die schnellen Sturmspitzen operiert und damit wiederholt Wirkung erzielt. Dazu kamen gefährliche Weitschüsse (Rohde, Terletzki), die nur knapp das Ziel verfehlten. Nach dem Seitenwechsel dominierten in den ersten 25 Minuten die Moskauer eindeutig.

Das 1:1, das Jewrjuschichin von der Strafraumgrenze am herausgelaufenen Lihsa vorbei nach Vorlage von Machowikow erzielte, gab dem sowjetischen Pokalsieger weiteren Auftrieb, so daß die BFC-Abwehr in der Folgezeit die Hauptlast des Spiels zu tragen hatte. Doch die von Carow umsichtig gelenkte Verteidigung hielt stand, und nach etwa 70 Minuten konnten sich die Berliner vom stärksten Druck wieder freimachen. In der Verlängerung schien sich die stärkere Physis Dynamo Moskaus durchzusetzen, doch mit letztem Einsatz stemmten sich die Berliner, die am Ende einer kräftezehrenden Saison stehen, dem Moskauer Angriffsdruck entgegen. Ihre Konter kamen jetzt nicht mehr so oft und schnell wie zuvor. So rückte Werner Lihsa im Tor immer mehr in den Brennpunkt des Geschehens. Geschlagen wurde er jedoch erst von den Elfmetern, die dieses packende und aufregende Spiel beendeten.

Dynamo Moskau:
Pilgui; Bassalajew; Dolmatow, Sykow, Sabo; Shukow, Machowikow, Jakubik (60. Anitschkin); Baidatschny, Koshemjakin (47. Gerschkowitsch), Jewrjuschichin
BFC Dynamo:
Lihsa; Stumpf; Carow, Trümpler, Hübner; Terletzki, P. Rohde, Schütze (112. Becker); Johannsen, Netz (112. Brillat), Schulenberg

0:1 Netz               (37.)
1:1 Jewrjuschichin     (58.)

1:0 Dolmatow
   Johannsen vorbei
2:0 Baidatschny
   Terletzki Latte
3:0 Jewrjuschichin
3:1 Carow
4:1 Machowikow

Schiedsrichter:        Boström (Schweden)
Zuschauer:             25.000

Gerd Prokot, Neues Deutschland, 21.04.1972