Europacup der Pokalsieger 1971/72 - Halbfinale Hinspiel: BFC Dynamo - Dynamo Moskau 1:1

Dynamo Moskau stellte sich als hervorragende Mannschaft in Berlin vor / Verdiente 1:0-Führung für die Gäste / Kurioses Ausgleichstor
Der BFC Dynamo erzwang Mittwoch abend im Berliner Jahn-Sportpark vor über 30.000 Zuschauern gegen den Namensvetter Dynamo Moskau im ersten Halbfinalspiel um den Fußball-Europapokal der Pokalsieger ein bemerkenswertes 1:1 (0:0). Das Rückspiel findet am 20. April in Moskau oder Taschkent statt. Vor einem knappen halben Jahrhundert wandte sich der große Maxim Gorki mit einem Artikel an seine Freunde des Moskauer Dynamo-Klubs, und einer der Kernsätze lautete: "Dynamo - das heißt Kraft in Bewegung!" Dieses Gorki-Wort könnte man gut und gern auch als Überschrift für dieses Europapokal-Halbfinale in Berlin wählen, und da sich zwei Dynamo-Mannschaften gegenüberstanden, gilt es festzustellen, daß vor allem mehr Kraft in der Bewegung derjenigen lag, an die Gorki seine Worte einst gerichtet hatte, in der Moskauer Mannschaft.

Niemand konnte übersehen, daß diese Elf ihrem Gegner in der Athletik und auch in der Schnelligkeit überlegen war. Das festzustellen schien nicht nur die Zuschauer zu überraschen, sondern auch die Berliner Elf, die schon nach wenigen Minuten den Weißhemden das Mittelfeld überließ und sich damit nicht nur die Last aufbürdete, die Bälle erst immer wieder mühsam in die Moskauer Hälfte zu kombinieren, sondern vielleicht auch den Faden nicht mehr richtig wiederfand. Vor dem Anpfiff hatten die beiden ungarischen Linienrichter die Netze beider Tore daraufhin überprüft, ob sie auch harten Belastungen standhalten würden.

Doch zu hart waren die Belastungsproben hinterher nicht. Die Moskauer überzeugten nämlich bis zur Strafraumgrenze, doch blieben die knallharten und plazierten Schüsse dann aus, wenn auch nicht verschwiegen werden darf, daß der Berliner Schlußmann Lihsa einige Male sein Können durchaus unter Beweis stellen konnte, aber sicher auch froh darüber war, daß einige der Schüsse der schnellen Dynamo-Stürmer ihr Ziel nicht erreichten. Auf der anderen Seite gelangten die Berliner Rothemden  nur selten so vor Pilguis Gehäuse, daß ihre sonst so gerühmte Schußfreudigkeit den Jaschin-Nachfolger in höchste Not gebracht hätte. Nach "Punkten" hatten die Gäste also die Partie schon längst für sich entschieden, ehe das Führungstor fiel, aber eben nur nach "Punkten", und die zählten und galten ebensowenig wie die Berliner Ecken...

Und als der Führungstreffer nach einer der vielen blitzschnellen und haargenauen Kombinationen gefallen war, schienen die Moskauer fast zufrieden zu sein, drosselten das Tempo und bescherten sich auf diese Weise noch unbequeme zwanzig Schlußminuten, die schließlich zum kuriosen Ausgleich führten, als Koshemjakin im eigenen Strafraum den Pfiff des Schiedsrichters erwartend, den Ball aufnahm und damit für den wohl klassischsten Fall eines Handspiels sorgte, den man lange Zeit in Berlin sah! Voreiligkeit führte hier zu einem "Eigentor", das Johannsen allerdings auch für Pilgui unhaltbar in die Maschen schoß. Also: Den guten Koshemjakin hätte Gorki sicher darauf aufmerksam gemacht, daß die Kraft in der Bewegung beim Fußballspiel nun mal in den Beinen liegt...

BFC Dynamo:
Lihsa; Stumpf; Carow, Trümpler, Hübner; Terletzki, P. Rohde, Schütze; Johannsen, Netz, Schulenberg
Dynamo Moskau:
Pilgui; Bassalajew; Dolmatow, Sykow, Sabo; Shukow, Baidatschny, Jakubik; Koshemjakin, Machowikow, Jewrjuschichin

0:1 Jewrjuschichin     (54.)
1:1 Johannsen          (83., Handstrafstoß)

Schiedsrichter:        Bircsak (Ungarn)
Zuschauer:             30.000

Klaus Ullrich, Neues Deutschland, 06.04.1972