IFC-Cup 1961/62 (Gruppe B3) - 04. Spieltag: SC Dynamo Berlin - KS Górnik Zabrze 4:3

Nicht aufgesteckt und deshalb noch zum Sieg gekommen / Ein Spiel voll Rasse und Klasse
Jeder Berliner Fußballfreund, der sich durch die drohenden Regenwolken vom Besuch dieses Spiels der "Internationalen Sommermeisterschaft" zurückhalten ließ, hat sich eine echte Fußballdemonstration entgehen lassen. Man muß schon Jahre zurückgehen, um sich an ein ähnliches glänzendes Fußballspiel auf dem Rasen des Walter-Ulbricht-Stadions zu erinnern. In diesen 90 Minuten dieses Juli-Sonntags gab es alles, worüber das Fußballherz im Leibe lachen kann. Prächtige Kombinationen, herzhafte Schüsse, reaktionsschnelle Torwartparaden, spannende Torfolge mit dem Siegestreffer in letzter Minute. Ein Fußballcocktail, wie er angenehmer nicht munden kann, an dem sich erneut die alte Liebe zum Spiel mit dem runden Lederball entzündete. So müßte es öfter sein.

Und wo liegt die Ursache dessen? Wolfgang Hempel hatte uns nach dem Spiel am Vorsonntag in Zabrze nicht zuviel versprochen. Im polnischen Kohlenpott ist eine Mannschaft herangewachsen, die ohne Zweifel in die Kategorie europäischer Spitzenklasse einzustufen ist, zumindest befindet sie sich zur Zeit in einer Verfassung, in der sie keinen Gegner zu fürchten hat. Da ist alles gut aufeinander abgestimmt. Die Verteidigung schnell und standfest mit dem klassereinen Stopper Osliszlo als Dreh- und Angelpunkt. Die Läufer zeigen sich gleichstark in Angriff und Abwehr. Jeder einzelne im Sturm schnell handelnd im richtigen Freilaufen und genau passend. Dieser Mannschaft gelang fast alles, nur eines nicht, mehr Tore zu schießen als der Gegner. Und das spricht in erster Linie für die Dynamo-Elf und dann erst für das nicht ganz konzentrierte Ausnutzen der zahlreichen Chancen, die sich die Polen erspielten.

Man versteht es jetzt erst richtig, warum die Berliner vor einer Woche auf des Gegners Platz ihre eklatanteste Niederlage seit Jahren einstecken mußten. Daß dieses Spiel auf so hoher Stufe stand, verdanken wir nicht nur der großartigen Vorstellung des polnischen Spitzenreiters, der jetzt verständlicherweise die Aufgabe übertragen bekam, Polen beim kommenden Wettbewerb um den Europapokal der Meister zu vertreten, und mit nicht geringen Aussichten in den Kampf gegen Englands Doppelmeister Tottenham Hotspurs geht, wir verdanken es auch der klugen, spielerisch alles herausholenden und kämpferisch starken Dynamo-Elf, der dann auch das Glück des Tüchtigen zur Seite stand. Gyarmati ließ diesmal Bauchspieß als Rechtsaußen spielen und der ehemalige Zeitzer fand sich recht gut mit dieser Position ab.

Als er bereits in der dritten Minute eine Vorlage in den Lauf gespielt bekam, servierte er die Flanke so maßgerecht dem mitgelaufenen Poklitar, daß dieser kein Kunststück fertigbringen mußte, um den Ball über die Torlinie zu bugsieren. Diese schnelle Führung ließ die Polen noch stärker das Angriffsspiel forcieren, damit ihre großen Fähigkeiten voll zur Geltung bringend, aber dem Dynamo-Sturm bot sich dadurch mehr Raum in der gegnerischen Hälfte, wo er sich des öfteren recht gut in Szene setzen konnte. Auf der anderen Seite bedurfte es dafür einer energischen Abwehrarbeit, mit einem prächtig reagierenden Marquardt als letzte Station und einem erstaunlich selbstsicheren Starost, um die gefährlichen Durchbrüche der Gäste zu bremsen.

Nach dem Wechsel formierte Zabrze den Angriff um. Jankowski ging in die Mitte, und Musialek nahm dessen Flügelposition ein. Diese Maßnahme steigerte die Gefährlichkeit der Gäste noch, da sich der Nationalstürmer mit klugem Stellungsspiel seinen Gegenspielern zu entziehen wußte und brenzlige Situationen heraufbeschwor. Zwar konnte Heine mit einem sagenhaften 35-Meter-Freistoß ins obere Eck das unglückliche Selbsttor Skabas, von dessen Fuß bei einer Rückgabe der Ball genau unter die Latte prallte, ausgleichen, aber Górnik schien unaufhaltsam.

Innerhalb drei Minuten war aus dem Rückstand eine 3:2-Führung geworden, und es sah so aus, als wenn nicht mehr daran zu rütteln wäre, so klar dominierten jetzt die Gäste. Aber Dynamo gab sich nicht geschlagen. Eine Hand im Strafraum verhalf Dynamo zum Ausgleich, zu dem Heine allerdings erst den Nachschuß benötigte. Das schockierte die Polen. Sie waren jetzt mit dem Unentschieden zufrieden. Da ging in der letzten Minute Klingbiel am linken Flügel los. Als er angegriffen wurde, legte er sich den Ball auf den rechten Fuß, zog das Leder an die Latte und wieder war Poklitar zur Stelle, um zum Siegestreffer einzudrücken. Jubel auf den Rängen, Jubel bei den Rotweißen, Enttäuschung bei Górnik, die sich nur einem Glücklicheren beugen mußten.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Starost, Heine, Skaba; Bley, Maschke; Bauchspieß, Mühlbächer, Poklitar, Schröter, Klingbiel
KS Górnik Zabrze:
Kostka; Florenski, Osliszlo, Olszowka; Oleynik, Kowalski; Jankowsi, Pohl, Musialek, Wilzek, Lentner

1:0 Klingbiel          ( 3.)
1:1 Skaba              (48., Eigentor)
2:1 Heine              (52.)
2:2 Jankowski          (60.)
2:3 Wilzek             (63.)
3:3 Heine              (81., Handstrafstoß)
4:3 Poklitar           (90.)

Schiedsrichter:        Fencl (CSSR)
Zuschauer:             6.000


Rolf Gabriel, Neue Fußballwoche, 11.07.1961