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Von den Flügeln her aufgerissen Endphase eines
internationalen Meisterschaftsspiels. 5:3 steht es im Spiel auf dem Red-Star-Platz in Wien. 5:3 für Dynamo! Aufgeregt läuft Wenzel Laloucek, Dynamos zweiter Trainer, hinter dem Tor auf und ab. Laut ruft er seinen Akteuren die
noch zu spielenden Minuten zu. Der Schlußpfiff ertönt. Banges Hoffen wird zur Gewißheit: Das Spiel ist gewonnen. Noch einmal versammelt sich unsere Mannschaft in der Mitte des Feldes, winkt grüßend der beifallsfreudigen Menge
zu und verläßt frohgestimmt die Stätte ihres großen internationalen Sieges. Dieser Erfolg wiegt schwer. Er wurde über Österreichs derzeitig beste Club-Elf, einen Gegner errungen, der seit Jahren auf eigenem Platz, selbst gegen
die stärksten Mannschaften Europas, unbezwungen blieb. Herzlichen Glückwunsch, Dynamo! Die Aufgabe war gestellt. Ein Plan wurde geboren.
Er fand Erfüllung, weil sich alle Spieler nach den Anweisungen des Trainers
richteten, diszipliniert die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllten und dazu die Kraft und Moral besaßen, einen dreimal in Führung gegangenen Gegner noch abzufangen und am Ende sogar klar zu beherrschen. "Vorsicht"
hieß die eine Devise, die Janos Gyarmati seinen Spielern mit auf den Weg gab. "Laßt den technisch versierten Innenstürmern des Wiener SK keinen Spielraum. Kein halber Meter darf jeden Mann der Abwehr von seinem Gegner
trennen, sonst beginnt das Wiener Scheiberl-Spiel seinen unaufhaltsamen Lauf zu nehmen." Entschlossen und konzentriert gingen die Abwehrspieler an die ihnen gestellte Aufgabe. Heine, energisch und sicher wie lange
nicht, Bley, sichtbar klug gezügelt in seinem Offensivdrang.
Da fanden die drei exzellenten Techniker des Wiener Innentrios nur selten Gelegenheit zum Spiel in die Gasse, zum entscheidenden Durchbruch auf das
Dynamo-Tor, zumal ihre Angriffskameraden an den Flügeln sich bei den Außenverteidigern in guter Obhut befanden. Nur ein geringes Nachlassen der Deckungskonzentration genügte ihnen freilich, um erstmals in Front zu ziehen, und
dann nach dem zweimaligen Ausgleich erneut in Führung zu gehen. 1:0 für die Gastgeber, als sich Heine einmal aus dem Abwehrzentrum entfernte und Knoll schnell den freien Weg in der Mitte fand, den ihm Maschke nicht mehr mit
korrekten Mitteln versperren konnte, 1:1 durch flachen Scharfschuß von Poklitar, den Mühlbächer klug mit dem Kopf vorgelegt hatte. 2:1 für den Wiener SK, als Bley einmal Hamerl aus der Bewachung entließ und der lange Halblinke
sich die Ecke aussuchte. 2:2 auf Kopfball des Dynamo-Mittelstürmers nach doppelter Flanke Mühlbächer/Klingbiel. 3:2 für Wien, als Hamerl mit einem Täuschungsmanöver seinen Linksaußen frei machte.
So ging es in die Pause. "Steil über die Flügel spielen" lautete eine weitere Anweisung des Dynamo-Trainers, die zur Halbzeit noch einmal wiederholt wurde. "Laßt den Kopf nicht hängen, den Mut nicht
sinken. Auch dieser Gegner ist zu schlagen." Beschwörend sprach Janos Gyarmati wie ein Vater zu seinen Jungen. Er gab ihnen damit neue Kraft, Selbstvertrauen und die richtige Einstellung, dem Spiel nach der Pause noch
die entscheidende Wendung zu geben. Bewundernswert die Moral, wie sich die Spieler dann nachher zum drittenmal ans Werk machten, den Vorsprung des Gegners aufzuholen. Klug, wie sie im Mittelfeld die Bälle hielten. Schröter,
Maschke und Mühlbächer waren hier die festen Punkte eines Dreiecks, in das der Gegner nun nicht mehr störend eindringen konnte.
Von hier aus verliefen die Fäden des Zusammenspiels schnell, plötzlich und steil zu den
beiden Stürmern an den Seitenlinien. Immer wieder sahen sich Wiens "Außendecker" von diesen schnellen Flitzern Überlaufen. Hier wurde stets der Stoß angesetzt und dann sofort überraschend wieder in die Mitte, in das
neuralgische Abwehrzentrum des Gegners (Büllwatsch!) verlagert. Bald der erneute Ausgleich durch Mühlbächer, der Heines Freistoß im Nachschuß verwandelte. Dann etwa eine viertel Stunde vor Schluß die endgültige Entscheidung:
Erst wurde Klingbiel vom Kombinationsduo Schröter/Maschke freigespielt, und der "Stürmer und Dränger" Poklitar verwandelte seine flache Eingabe mit unhaltbarem Hochschuß. Dann setzte sich der Linksaußen gegen Weiß und
Szanwald durch und vollstreckte selbst in Ruhe und Würde.
Wiener SK:
Szanwald; Weiß, Büllwatsch; Hasenkopf, Oslansky, Kainrath; Novy, Knoll, Hof, Hamerl, Stampfer SC Dynamo Berlin:
Noske; Hofmann, Heine, Skaba; Bley, Maschke; Schmidt, Mühlbächer, Poklitar, Schröter, Klingbiel
1:0 Hof (30., Foulstrafstoß)
1:1 Poklitar (40.) 2:1 Hamerl (41.) 2:2 Poklitar (42.) 3:2 Stampfer (45.)
3:3 Mühlbächer (50.) 3:4 Poklitar (76.)
3:5 Klingbiel (78.)
Schiedsrichter: Kandlbinder (BRD)
Zuschauer: 8.000
Lothar Nagel, Neue Fußballwoche, 20.06.1961

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