Mediha Göbenli, Universität Hamburg

Zeitgenössische türkische Frauenliteratur

Eine vergleichende Literaturanalyse ausgewählter Werke von Leylâ Erbil, Füruzan, Pınar Kür und Aysel Özakın

Der nachfolgende Beitrag ist der Text meines Vortrages bei der wissenschaftlichen Disputation über meine Dissertation zum Thema Zeitgenössische türkische Frauenliteratur: Eine vergleichende Literaturanalyse ausgewählter Werke von Leyla Erbil, Füruzan, Pınar Kür und Aysel Özakın, die am 26.10.1999 in Hamburg stattfand. (Volltext)

1. Einführung, 2. Ergebnisse, 3. Ausblick

Einführung

Bevor ich die wichtigsten Fragestellungen und Resultate meiner Arbeit vorstelle, möchte ich zunächst erzählen, wie ich zu dieser Studie motiviert wurde. Neben dem allgemeinen Interesse an Frauenforschung, wurde ich vor allem durch die oft von außen gestellte Frage motiviert, ob es überhaupt schreibende Frauen in der Türkei gäbe. Die türkische Frauenliteratur ist bislang nur den Experten vorbehalten geblieben, weil die wenigsten Werke der türkischen Autorinnen übersetzt wurden. Daher ist ein Ziel der Dissertation, Neugier zu wecken, damit neue Übersetzungen möglich werden. Das Hauptziel der Arbeit ist somit, einen allgemeinen Überblick zu geben, sowie die Themen und Tendenzen in der zeitgenössischen türkischen Frauenliteratur herauszuarbeiten.

An dieser Stelle möchte ich hervorheben, daß die türkische Frauenliteratur bisher nicht in einem größeren Kontext zum Thema einer wissenschaftlichen Arbeit gemacht wurde. Deshalb basiert meine Arbeit vor allem auf Primärliteratur d.h. Prosaliteratur, und hier insbesondere Romanliteratur. Die Prosa ist die dominierende Gattung in der türkischen Frauenliteratur. Die meisten zeitgenössischen türkischen Autorinnen haben in den 70er Jahren massenhaft die Literaturbühne betreten. Um den Rahmen der Dissertation nicht zu sprengen, mußte ich eine Auswahl treffen. Die Auswahl der Autorinnen habe ich nach drei Kriterien getroffen, nämlich:

  1. ob die Schriftstellerinnen den Begriff "Frauenliteratur" akzeptieren und die Emanzipationsbestrebungen bejahen. (aus der Notwendigkeit heraus, den weiblichen Anteil an der Literatur hervorzuheben und ihre Ausgrenzung aus der Literaturgeschichte zu thematisieren).
  2. ob sie für die zeitgenössische türkische Frauenliteratur repräsentativ sind;
  3. ob sie schon Gegenstand einer literaturwissenschaftlichen Arbeit gewesen sind.

Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Jedoch habe ich ein Kapitel der Arbeit den wichtigsten zeitgenössischen Autorinnen gewidmet. Dabei wurden insgesamt 25 zeitgenössische Autorinnen mit ihrem Gesamtwerk und den allgemeinen literarischen Motiven gewürdigt.

Ein gemeinsames Charakteristikum der türkischen Autorinnen ist, daß als Schauplatz des Geschehens die Metropole der Türkei, die Großstadt Istanbul und manchmal auch Ankara- gewählt wird. Eine andere Gemeinsamkeit betrifft die erzählte Zeit: meist wird die Gegenwart der Autorin, also ab Mitte 70er und Anfang 80er Jahre, gewählt. Sie haben somit ein Zeugnis ihrer Zeit abgelegt.

Ich habe in meiner Arbeit zehn Prosawerke aus den 70er und 80er Jahren von vier zeitgenössischen türkischen Autorinnen untersucht. In alphabetischer Reihenfolge: Leyla Erbil, Füruzan, Pınar Kür und Aysel Özakın.

Der Ausgangspunkt der von mir vorgenommenen Literaturanaylse ist der historisch-materialistische Ansatz (Interpretation) im Sinne von Lukàcs, der davon ausgeht, daß literarische Texte gesellschaftliche Bedingungen und Zustände widerspiegeln. Demnach ist die zentrale Fragestellung: Wie ist das Verhältnis der dargestellten Wirklichkeit zu den gesellschaftlichen Verhältnissen? Wie werden kulturelle, politische und gesellschaftliche Werte und Ideologien in der türkischen Frauenliteratur verarbeitet? Was ist ihre Botschaft?

In der Textanalyse - mit Hilfe der modernen Romantheorie- wurden neben inhaltlichen Fragestellungen, auch formale Mittel wie die Zeitverhältnisse, die Erzählperspektiven, Handlungsstränge, zentrale Leitmotive mit berücksichtigt und vor allem die sprachlich-stilistischen Mittel analysiert.

Nach der Interpretation der Texte unter formalen und inhaltlichen Aspekten, habe ich anhand der Figurenanalyse, die Frauenfiguren nach Persönlichkeit, sozialem Umfeld, Berufsleben sowie ihrer Einstellung zu Liebe und Sexualität untersucht, um festzustellen, welche Frauenbilder es in der türkischen Frauenliteratur gibt. Die große Mehrheit der Hauptfiguren in der türkischen Frauenlitertur ist weiblichen Geschlechts. Leitmotivischen Charakter haben überwiegend die revolutionär-intellektuell-künstlerischen Frauengestalten.

Das Ergebnis dieser Figurenanalyse unterteilt die Frauenfiguren in den Romanen der türkischen Autorinnen in zwei Gruppen:

  1. Frauen, die künstlerisch und politisch interessiert sind, die gegen gesellschaftliche Konventionen rebellieren und ausbrechen. Von Zeit zu Zeit resignieren diese Frauen dabei auch und ziehen sich zurück.
  2. Frauen, die sich dem Mann bzw. den patriarchalischen Werten fügen und sprachlos sind. Diese Frauen hat der kemalistische Staatsfeminismus nicht erreichen können. Sie sind in der türkischen Frauenliteratur eine Minderheit, obwohl sie in der Gesellschaft die Mehrheit bilden. (Von 10 Protagonistinnen beugt sich z.B. eine einzige ihrem Schicksal, nämlich die Hauptfigur Melek in "Asılacak Kadın"/"Die zum Tode verurteilte Frau" von Pınar Kür.)

Um die Werke auf inhaltlicher Basis angemessen analysieren zu können, war es notwendig, die Arbeit in zwei Hauptteile zu gliedern: und zwar in den gesellschaftlich-deskriptiven und den literaturwissenschaftlich-analytischen Teil. Der erste Teil sollte den theoretischen Rahmen bilden, unter dem die türkische Frauenliteratur untersucht wird, damit ein gesellschaftlicher Zusammenhang in den Werken hergestellt werden kann. Dabei bedurfte es einer Intentitätsdefinition der türkischen Frauen, die eng mit der Sozialisation und Erziehung zusammenhängt, und von drei ideologischen Frauenbildern geprägt wurde: von dem kemalistischen, sozialistischen und feministischen Frauenbild. So fließen als thematische Kategorien diese drei Ideologien in die türkische Frauenliteratur ein, da sie auch den biographischen Hintergrund der Autorinnen bilden.

Der Kemalismus, der seinen Niederschlag bezüglich der Frauenfrage im "Staatsfeminismus" (staatlich verordnete Emanzipation) fand, brachte keine Änderung der traditionellen Geschlechterrollen. Im Gegenteil, mit der "kemalistischen Sozialisation" schuf man eine Identität - eine sogenannte a-sexuelle bzw. entsexualisierte Identität -, welche die Geschlechterrollen noch mehr festigte. Die Töchter kemalistisch geprägter Eltern erhielten die Rahmenbedingungen, sich beruflich und akademisch selbst zu verwirklichen, jedoch wurde ihre Weiblichkeit und damit auch ihre Sexualität abgelehnt. Mit den Worten Seydas, der Protagonistin von Pınar Kür in "Yarın Yarın" (Morgen Morgen), heißt es:

"Ach Frau Melahat, Herr Mehmet, mit was für Mühe habt ihr mich großgezogen; wie das auch immer passiert ist, ihr habt dabei meine sexuelle Aufklärung vergessen, nicht wahr? Wer hat sie übergangen? Wer hätte gedacht, daß ein hochbegabtes Mädchen auch sexuelle Bedürfnisse haben kann?" (Yarın Yarın, S. 108)

Von der Feststellung Kandiyotis ausgehend, daß die türkischen Frauen "emanzipated but unliberated" seien, da sie formal gleichberechtigt sind, aber dennoch in einer dem traditionellen Wert- und Normensystem unterworfenen Gesellschaft leben, ist die zentrale Fragestellung: Wie wird dieser Gegensatz und der Zwiespalt in der Emanzipation als Resultat des kemalistischen Erbes literarisch verarbeitet? Wie spiegelt sich das kemalistische Erbe in der Literatur wider?

Die Untersuchung zum kemalistischen Erbe in der türkischen Frauenliteratur hat erwiesen, daß die Frage der Emanzipation mit diesem Erbe im Zusammenhang steht. Das Hinterfragen der Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft und der unterschiedlichen Erziehung von Jungen und Mädchen, bildet einen thematischen Schwerpunkt in der türkischen Frauenliteratur. Dieses Hinterfragen ist die Voraussetzung zur Veränderung. Die Töchter hinterfragen nicht nur die tradtionelle Rolle als Ehefrau und Mutter, sie brechen auch das Tabu der Jungfräulichkeit. Aus der Sicht von Nermin im Polizeirevier, der Protagonistin von Leyla Erbil in "Tuhaf Bir Kadın" (Eine sonderbare Frau), ist die Jungfräulichkeit ein "zırıltı" (ein lästiges Ding), das sie schnellstens loswerden möchte:

"Ich hatte keine Angst vor Schlägen; ich hatte Angst, daß er mir was schlimmes antun könnte. Was ist, wenn jenes Häutchen, um das sich meine Mutter so gesorgt hatte, von so einem Polizisten kaputtgemacht wird? Und dazu noch in diesem Ambiente. Der Fußboden war aus Holz. Wenn ich diesmal heil davonkomme, sagte ich zu mir, werde ich dieses lästige Ding schnellstens von einem vernünftigen Mann erledigen lassen; das ist alles eine schmutzige Angelegenheit" (S. 20)

Als intellektuelle und moderne Frauen werden die Protagonistinnen der türkischen Autorinnen mit den Widersprüchen in der türkischen Gesellschaft konfrontiert, die sich in Form einer Doppelmoral in intellektuellen Kreisen offenbart. Das Denken der intellektuellen Männer ist noch sehr stark von traditionellen Werten geprägt. Es wird meist theoretisierend über Gerechtigkeit und die Freiheit der Frau diskutiert. Die Frau wird aber auf ein Sexualobjekt reduziert, wenn es um ihre individuelle Freiheit geht. Die Frauen in den Romanen reagieren auf diese Situation, indem sie Männer mit einem frauendiskriminierenden Denkmuster offen und mutig angreifen.

Die Literatinnen stellen in ihren Werken vor allem die Dominanz des Mannes auf allen gesellschaftlichen Ebenen dar. Hierzu ein Textausschnitt aus "Genç Kız ve Ölüm" (Dt. Übersetzung "Die Preisvergabe") von Aysel Özakın:

"Die Männer waren überall bestimmend, nicht nur in der Wohnung, nicht nur in der Ehe. Sie durften in den Kaffeehäusern sitzen und sich laut unterhalten, lachen, fluchen. Sie durften sich frei auf den Straßen bewegen, auch in einsamen Gegenden. Sie konnten sich prügeln, Frauen nachgaffen, ihre Lieder singen. [...] Sie durften betrunken nach Hause kommen. Und wir Frauen sitzen, unsere Weiblichkeit züchtig verdeckend, ihnen gegenüber, weichen ihrem Blick aus, damit sie uns in Ruhe lassen. Wir dürfen nicht ohne gesenkten Kopf herumlaufen, und wenn wir sprechen oder lachen, versuchen wir unsere Stimme vor ihnen zu verbergen. Wir sind bedrückt, wir langweilen uns. Wir Frauen, die wir wie die Männer draußen arbeiten, haben wir nur das Recht auf Arbeit bekommen, das Recht auf Arbeit und die Verpflichtung, unseren Haushalt zu führen, aber wie sollen wir unsere Beklemmung und unsere Langeweile vertreiben? Wir Frauen, die wir einsam, aber selbstbewußt sind. Es ist, als sei an jedem Punkt unseres Körpers ein Meßgerät installiert. Alles wird kontrolliert. Wenn wir gehen, wenn wir sprechen, uns hinsetzen -,alles muß so sein, wie sie es wollen. Deshalb gleichen wir uns auch alle so sehr. [...] Auch in dieser Stadt haben uns die Männer in zwei Gattungen eingeteilt: in die geheiligten Familienfrauen, die man beschützen muß, und diejenigen, die es verdienen, daß die Männer bestimmte Absichten an sie herantragen. Woher sollen wir Frauen die Kraft nehmen, diese Ungerechtigkeit zu ertragen?" (Genç Kız ve Ölüm/Die Preisvergabe, S. 87-88/72-73)

In meiner Analyse bin ich zum Schluß gekommen, daß die türkischen Autorinnen die Diskrepanz zwischen der Modernität (Emanzipation) und der Tradition thematisieren. Das weibliche Individuum, das im Mittelpunkt steht, setzt sich mit Widersprüchen einer Gesellschaft auseinander, die mehrheitlich traditionell-patriarchalisch aufgebaut ist und sich gleichzeitig modern und fortschrittlich gibt. Die Schriftstellerinnen verarbeiten den Gegensatz zwischen der Moderne und dem Traditionalismus respektive den Zwiespalt in der Emanzipation literarisch anhand von Generationskonflikten zwischen den Kindern und den Eltern. Dieser findet vor allem zwischen der Tochter und der Mutter statt, welche die kemalistischen Werte verinnerlicht hat. Auffällig an allen Romanen ist die Nähe der Frauenfiguren zu ihren Müttern. Die Mutter ist präsent; sie ist diejenige, die zwischen der Tochter und dem Vater vermittelt. Die meisten Dialoge finden zwischen der Mutter und der Tochter statt. Sie ist diejenige, die die Tochter ermahnt und indirekt motiviert, ein anderes Leben zu führen.

In bezug auf die Emanzipation konkretisiert sich die Spaltung der Eltern zwischen Modernität und Traditionalismus; die Diskrepanz zwischen ihrem praktischen Handeln und theoretischen Denken tritt offen hervor. Die intellektuelle türkische Frau versucht, aus dieser Polarisierung eine Synthese herzustellen, was natürlich nicht einfach einhergeht. Einerseits hinterfragt sie die gesellschaftlichen Normen, andererseits aber verhält sie sich konform zu diesen kritisierten Normen.

In den 60er und 70er Jahren wurden die Schriftstellerinnen und alle anderen intellektuellen Frauen von der Politisierung und Radikalisierung der türkischen Gesellschaft ergriffen. Es entstand ein von der sozialistischen Ideologie gekennzeichnetes Frauenbild, das die Befreiung der Frau von der sozialistischen Revolution abhängig machte, da die Unterdrückung der Frauen ein aus der Klassenunterdrückung abzuleitender Nebenwiderspruch sei. Hier gab die türkische Linke der Frau eine Identität, die wie auch schon die kemalistische geschlechtslos und kollektiv war, die "bacı/Schwester-Identität" (entsexualisierte Freundin). Wie beim kemalistischen Frauenbild war die Identität der Frau gekoppelt an ihre Sexualität: sie erhielt Zutritt in die Öffentlichkeit, wenn sie ihre Weiblichkeit kaschierte. Äußerliche Merkmale, die als weiblich gelten konnten, wurden abgelehnt. Kosmetikutensilien und Kleider wurden ersetzt durch Hose, Pullover und Parka.

Mit der Zeit haben die Frauen in der türkischen Linken die krassen Gegensätze zwischen der Theorie und dem praktischen Verhalten bewußter wahrgenommen. Sie erkannten, daß das patriarchalische Bewußtsein trotz der sozialistischen Ideologie in den Köpfen von Männern fortbesteht und daß ihre Veränderung vor der Revolution beginnen müßte. Die Autorinnen thematisieren nicht nur das unterschwellig chauvinistische Verhalten der linken Männer, sondern auch die Repressalien seitens des Staates sowie die Kluft zwischen der revolutionären Intelligenz und dem türkischen Volk.

Die Untersuchung des Sozialismus als ideologisches Konzept der türkischen Frauenliteratur läßt die Schlußfolgerung zu, daß die Protagonistinnen der türkischen Autorinnen politisch interessierte Frauen sind und die Ideologie des Sozialismus ihnen als politisch-soziale Weltanschauung dient. Das Festhalten an der Verknüpfung von Leben und politischem Bewußtsein tritt auffällig hervor. Die sozialistische Ideologie bildet somit die Voraussetzung für den feministischen Diskurs.

Wenn das Schreiben als ein Bewußtseinsprozeß betrachtet wird, ist dies ein leitmotivisches Kriterium in der zeitgenössischen Frauenliteratur. Die Analyse hat gezeigt, daß die Problematik "Frau in der Gesellschaft" bei allen Autorinnen im Vordergrund steht. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sie ein Frauenbewußtsein entwickelt haben, das sich vom kemalistischen und sozialistischen Frauenbild nicht ganz distanziert –denn sie bilden einen Teil ihrer Identitätsgeschichte- doch stehen sie ihnen kritisch gegenüber. Sie sehen sich selbst als "Cumhuriyetin şaşkın cocukları" (die verwirrten Kinder der Republik) oder als "yitik kuşak" (die verlorene Generation) an.

Der feministische Ansatz, die Frau in den Mittelpunkt zu stellen, wird in allen Werken, die zur Analyse herangezogen wurden, erfüllt: So sind die Hauptfiguren Frauen, neben denen sich männliche Nebenfiguren finden. Die Perspektive der Frau überwiegt, sie ist diejenige, die inspiriert, und sie ist nicht zuletzt eine Identifikationsfigur für die Leserin.

In der Dissertation habe ich ferner versucht, anhand der vier Autorinnen ein einigermaßen verständliches Bild, auch des sprachlich-literarischen Stils zu liefern, da die Arbeit einen literaturwissenschaftlichen Anspruch erhebt. Dabei wurden beispielsweise Aspekte wie Satzstilistik (Satzlänge, Satzgefüge), rhetorische Figuren (Anophora, Ellipse, Chiasmus), und Bildlichkeit (Bilder, Vergleiche, Tropen, Metapher, Ironie, Allegorie und Personifizierung) erfaßt und beschrieben. Die Funktion der Stilelemente wurde im Textganzen analysiert und die Wechselbeziehung zwischen dem Inhalt und der Form wiedergegeben.

Es bestehen in der zeitgenössichen türkischen Frauenliteratur Differenzen in der Form der Darstellung und der Ausdrucksweisen. Sie haben alle ihre eigene sprachlich-stilistische Besonderheiten. Moderne Romantechniken wie beispielsweise Bewußtseinsstrom, Montage und Einschüben von nicht-literarischen Gestaltungsmitteln werden von ihnen allen angewandt.

Die literarische Kreativität der türkischen Autorinnen kann nicht nur an der Palette sprachlich-stilistischer Mittel wie beispielsweise der semantischen Verfremdung, den poetischen Konstruktionen, und den verrätselten Metaphern gemessen werden, sondern auch an der sprachlichen Originalität der Autorinnen.

Die Ergebnisse der Dissertation können folgendermaßen zusammengefaßt werden:

  1. Die Analyse hat gezeigt, daß das auffälligste Charakteristikum der dargestellten türkischen Autorinnen die Vielfältigkeit an Stimmen und Themen ist. Dabei überwiegen die intellektuell-künstlerischen Frauencharaktere, die über Themen von Sexualität und Liebe, der Janusköpfigkeit der intellektuellen Männer bis hin zur politischen Situation im Land diskutieren. Es werden auch Frauen zur Sprache gebracht, die durch ihre Unwissenheit, Armut und Autoritätshörigkeit, mißbraucht werden.
  2. Die gesellschaftliche Realität spiegelt sich facettenreich auf der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Ebene wider, und reicht von Verzweiflung, über Wut bis zur Nostalgie. In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, daß keine der Protagonistinnen mit ihrem Leben glücklich ist und stets auf der Suche nach ihrer Identität und ihrer Selbstverwirklichung. Diese Feststellung hat ihre Gültigkeit nicht nur für die Protagonistinnen; auch die Autorinnen sind enttäuscht von der türkischen Gesellschaft und vom Literaturbetrieb. Sie resignieren und ziehen sich zurück, doch nicht um aufzugeben, sondern um wieder neue Kraft zu schöpfen. Denn sie wollen nicht aufhören zu schreiben, da das Schreiben für sie eine Lebensphilosophie ist, die sie am Leben hält.
  3. Die Untersuchung hat auch dargelegt, daß das Thema "türkische Frau" einen thematischen Schwerpunkt bildet, aber dennoch nicht als feministisch-agitatorisch bezeichnet werden kann, da sie keinen aufklärerischen Anspruch erhebt wie die westliche Frauenliteratur in den 70er Jahren. Zwar fehlt der direkte feministische und kämpferische Einfluß, jedoch gibt es in der türkischen Frauenliteratur durchaus verschlüsselte Formen des Widerstandes. Hierzu ist das Literaturverständnis der türkischen Schriftstellerinnen zu berücksichtigen: als Aufgabe der Literatur wird nicht gesehen, die gesellschaftliche Realität wirklichkeitstreu darzustellen; statt dessen steht der literarische Ästhetikanspruch im Vordergrund. Die Literatur der zeitgenössischen türkischen Autorinnen als Beitrag zur Kulturproduktion wird meiner Meinung nach dauerhafter sein.
  4. Unterschiede zwischen den dargestellten Autorinnen gibt es, was die Anwendung von literarischen Gestaltungsmitteln betrifft. Eine wichtige These der Arbeit ist daher die syntaktisch-stilistische Eigenart der türkischen Frauenliteratur. Die Schriftstellerinnen besitzen alle die Offenheit für literarische Experimente.

Bevor ich abschließend einen Ausblick über die Entwicklung der zeitgenössischen türkischen Frauenliteratur gebe, möchte ich darauf hinweisen, daß natürlich auch Fragen offen geblieben sind bzw. Fragen für kommende wissenschaftliche Arbeiten aufgeworfen wurden. Die wichtigsten sind z.B.

  1. die Entwicklung der islamischen Frauenliteratur nach 1980 und ihre literarischen Mittel;
  2. die Stellung der populären Liebesromanautorinnen und ihr gesellschaftlicher Einfluß;
  3. die Untersuchung der Gründe für die Unterrepräsentanz der Frauen in der Poesie und
  4. die Analyse der gegenseitigen Beeinflussung der Autorinnen und den Dichtern der 2. Neuen-Strömung.

 

Ausblick

Was die Entwicklung der türkischen Frauenliteratur in der Zukunft betrifft, so läßt das Auftreten jüngerer Autorinnen in den 80er und 90er Jahren wie Pınar Aka, Nevra Bucak, Neşe Çehiz, Aslı Erdoğan, Fatma Murat, Gül Abus Semerci u.a.m., die nun auf eine Frauenliteratur zurückgreifen können, neue Impulse für die türkische Literatur erwarten. Ihre literarischen Themen sind vielfältig - sie reichen von Melancholie, über Hoffnungslosigkeit, Sehnsucht bis zur Wut -, und sie thematisieren die Stadt mit ihren Menschen, die Identitätssuche und die Liebe. Sie alle sind Zeuginnen ihrer Zeit, die die Tradition der hırçın-Literatur ("zornigen Literatur") ihrer Vorgängerinnen fortführen, d.h. daß sie "kein Blatt vor den Mund" nehmen.

An dieser Stelle möchte ich meinen Vortrag beenden und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.


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Volltext der Arbeit.

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